Wer hat, der kriegt

Die EU-Landwirtschaftspolitik fördert mit Milliardensubventionen vor allem konventionelle Großbetriebe und damit das Insekten- und Artensterben sowie den Klimawandel. 
Eine ökologischere Agrarwirtschaft wäre möglich. Doch ein Geflecht aus einflussreichen Bauernverband-Lobbyisten, Politik und Industrie verhindert dies seit Jahren. 

Text: Berndt Welz
Erschienen in: natur 12/19

Tief gräbt sich die Schaufel des Baggers in den Kartoffelberg. Der Motor heult auf, als ob er nicht Hunderte Kartoffeln heben müsste, sondern tonnenschwere Steine. Kurze Zeit später kullern die Knollen auf ein Fließband, auf dem Arbeiter gröberen Schmutz und Wurzelwerk aussortieren. Alle Kartoffeln haben fast die gleiche Größe. Das ist wichtig für ihre weitere Verwendung. Denn sie sollen sich in einer Fabrik in Bremen in XXL-Tiefkühl-Einheitspommes verwandeln – mit guten Chancen, in den Mäulern kleiner Kinder in Australien oder den USA zu landen. Viele der rund 10 000 Tonnen Kartoffeln, die die Firma Bördegrün, mit 2600 Hektar Anbaufläche einer der größten Agrarbetriebe Deutschlands, jährlich erntet, werden letztlich als Tiefkühlkost exportiert. 

Die Konkurrenz von Bördegrün sitzt nicht etwa im nächsten Dorf, sondern auf dem ganzen Globus. „Es hat nichts mehr mit der Landwirtschaft zu tun, die wir in den Märchenbüchern haben. Wir sind hoch technologisiert, wir sind wahnsinnig produktiv und drum herum werden die Ansprüche immer größer“, sagt Urban Jülich, Geschäftsführer von Bördegrün. Der Agrarbetrieb bei Magdeburg in Sachsen-Anhalt steht als Beispiel für die industrialisierte Landwirtschaft in Europa.

Hunderttausende europäische Bauern müssen sich am Weltmarkt gegen Billigkonkurrenz aus den USA oder Asien behaupten. Um sie vor dem Konkurs zu bewahren, erhalten sie von der Europäischen Union jährlich etwa 60 Milliarden Euro an Subventionen – es ist der größte Einzelposten im gesamten EU-Haushalt. Für manche Bauern stellen diese Finanzspritzen 50 Prozent ihres Einkommens dar. Alle sieben Jahre werden die Agrarmilliarden im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) neu verteilt. Seit Ende letzten Jahres wird wieder verhandelt.  Offiziell entscheiden die EU-Mitgliedsländer, die EU-Kommission und das Europaparlament darüber. Doch im Hintergrund streiten mächtige Interessengruppen um ihre Pfründe. Einer der wichtigsten Strippenzieher ist einer Studie der Universität Bremen zufolge der Deutsche Bauernverband. 

500 Kilometer südlich von Bördegrün baut Andreas Hatzl im bayerischen Olching auf 200 Hektar 20 verschiedene Sorten Kartoffeln an. Der Biobauer war früher konventioneller Landwirt. Dann hat er umgesattelt auf Öko. „Wenn man zum zehnten Mal mit der Spritze über den Acker fährt, denkt man: Kann das gut sein?“, sagt Andreas Hatzl. Sein Hof ist das Gegenkonzept zu Bördegrün. Doch der Ökolandbau verlangt ihm viel ab: Es ist ein ständiger Kampf gegen Schädlinge, Pilze und Unkräuter. Der Einsatz von synthetischen Pestiziden aus dem Chemiebaukasten von Bayer und Co. ist verboten, und so muss Hatzl die Knollen mit Biopräparaten schützen. 

Auch der Biolandwirt bekommt von der EU Subventionen: 55 000 Euro jährlich für seine Anbaufläche und weitere 50 000 Euro obendrauf aus Bayern, als Bio-Sonderprämie. Großbauer Urban Jülich erhält für seine konventionell betriebene Landwirtschaft 700 000 Euro pro Jahr. Viele Menschen würden sich wünschen, dass der Ökolandbau in der EU besser gefördert wird. Doch die GAP schert sich kaum um vitale Böden, Artenvielfalt und eine intakte Umwelt. Denn etwa 70 Prozent der Gelder richten sich allein nach der Größe der Felder. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Landwirt mit zu viel Gülle die Böden belastet oder mit Pestiziden auch Nützlingen wie Bienen, Hummeln oder Schmetterlingen schadet. Nutznießer der derzeitigen GAP sind vor allem große, auf industrielle Effizienz getrimmte Betriebe wie Bördegrün. 

Ursprüngliches Ziel: die Ernährung Europas 

Auf ihren Flächen sind die Probleme der intensiven Landwirtschaft besonders gut zu beobachten. Kilometerlange Felder, Monokulturen. Kaum Hecken. Dieses Landschaftsbild ist in vielen Regionen Europas zu finden: weite Einöden, auf denen das Surren der Rotoren der Großwindanlagen das einzige Geräusch bleibt. Ab und an ragt aus den Monokulturen eine kleine Fläche mit Wildblumen heraus. Die EU fördert solche Inseln zum Schutz für Bienen und andere Insekten. Doch nach echten Hecken, kleinen Wäldchen und großen Grünflächen sucht man hier vergeblich. 

Als im Jahr 1956 die GAP mit den Römischen Verträgen ins Leben gerufen wurde, sollten die Bauern mit Hilfe der Subventionen die Ernährung der Menschen in Europa sicherstellen, so der ursprüngliche Gedanke. Inzwischen wird deutscher Weizen auf den Getreidebörsen der Welt gehandelt und die durch die EU-Steuermilliarden subventionierte Milch zerstört Märkte in Afrika, zum Beispiel in Burkina Faso. „Wo steht denn, dass der Weltmarkt unser erster Markt sein muss?“, fragt Maria Noichl, die agrarpolitische Sprecherin der SPD im Europäischen Parlament. „Es ist doch unsinnig, wenn wir Milch nach Australien verschiffen und andererseits australische Milch zu uns verschifft wird – und beides auf dem Weltmarkt künstlich durch Subventionen verbilligt wird. Die australischen Bauern verdienen nichts mehr, die deutschen verdienen nichts mehr, und jeder wundert sich.“ Noichl steht mit ihrer Meinung nicht allein. Auch viele Vertreter anderer Parteien und Umweltverbände wie der Nabu, der BUND und Greenpeace fordern eine grundlegende Reformierung der GAP. 

CO2-Quelle Landwirtschaft 

174 Millionen Hektar Land werden in Europa bewirtschaftet. Die Gelder der GAP könnten eine entscheidende Lenkungsfunktion einnehmen, etwa dahingehend, dass Landwirte weniger Gülle, Pestizide und Kunstdünger verbrauchen und stattdessen auf mehrjährige Fruchtfolgen und eine insgesamt umweltverträglichere Landwirtschaft setzen. Außerdem könnte die Landwirtschaft den Ausstoß von Klimagasen in großem Umfang reduzieren, sagt Knut Ehlers vom Umweltbundesamt (vgl. Interview S. 55). 14 Prozent des deutschen CO2-Ausstoßes gehe auf das Konto der Bauern, zum Beispiel über den Eintrag von Stickstoff in den Boden, woraus das extrem klimaschädliche Lachgas entsteht. Deutschland drohen zudem millionenschwere Strafzahlungen durch die EU, weil die Regierung zu zaghaft gegen die Nitratbelastung der Böden und des Grundwassers durch zu viel Gülle vorgeht. Diese Liste ließe sich fortführen. 

Doch eine Wende in der Landwirtschaft ist vor allem in Deutschland nicht in Sicht. Während in Ländern wie Schweden oder Österreich der Ökolandbau-Anteil jeweils bei rund 20 Prozent liegt, werden in Deutschland gerade einmal neun Prozent der Felder biologisch bewirtschaftet. 
Eine neue Studie des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung, des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung und der Georg-August-Universität Göttingen belegt, dass die derzeitigen GAP-Vorschläge der EU-Kommission für die Umwelt und den Artenschutz eher einen Rückschritt bedeuten. Denn vor allem an den Flächenzahlungen soll nicht gerüttelt werden.  

Aber warum bewegt sich so wenig? Warum müssen die Bürger wie in Bayern mit erfolgreichen Volksbegehren für mehr Artenschutz die Politik erst wachrütteln? Für Deutschland sind dieser Frage der Sozialwissenschaftler Guido Nischwitz und seine Kollegen vom Institut für Arbeit und Soziales an der Universität Bremen in einer Studie für den Nabu nachgegangen. Dafür berücksichtigten sie alle leicht zugänglichen Quellen, wie Veröffentlichungen, Verbandsnachrichten und Webseiten. Die Wissenschaftler sind dabei auf ein Netzwerk der „Verhinderer“ gestoßen. Im Mittelpunkt der Studie steht der mächtige Deutsche Bauernverband, in dem rund 90 Prozent aller deutschen Landwirte organisiert sind. 

„Der Bauernverband, das ist die Spinne im Netz, die alle Fäden zieht“, sagt Guido Nischwitz. Die Forscher haben 546 Verbindungslinien zwischen dem Bauernverband und anderen mächtigen Akteuren im Agrobereich ausgemacht. Vor allem zur CDU und zur CSU unterhält der Verband beste Verbindungen, zudem auch in die für die GAP wichtigen Agrarausschüsse im EU-Parlament und in den Bundestag. Und zu vielen Führungsriegen der vor- und nachgelagerten Betriebe des Landwirtschaftssektors und der agrochemischen Industrie unterhält der Bauernverband engste Beziehungen, etwa zu Bayer, BASF oder Syngenta. Guido Nischwitz ist überzeugt, dass es der Verband geschafft hat, über Jahrzehnte hinweg eine Netzwerkstruktur aufzubauen, mit deren Hilfe er auf alle wichtigen agrarpolitischen Entscheidungen großen Einfluss nimmt. 

In vielen Molkereien, Agrohandelsfirmen, Versicherungen und Banken bestimmen die Funktionäre des Bauernverbandes ganz unmittelbar mit. So hat allein Bauernpräsident Joachim Rukwied mindestens 18 Spitzenpositionen in Unternehmen und Verbänden in der Landwirtschaft inne. Der Schwabe, selbst aktiver Landwirt, sitzt zum Beispiel im Aufsichtsrat der Baywa AG. Das Agrohandelsunternehmen (Jahresumsatz: rund 16 Milliarden Euro) verkauft an die Bauern unter anderem die für die konventionelle Landwirtschaft unverzichtbaren chemischen Pflanzenschutzmittel sowie Kunstdünger. Ähnliche Spitzenpositionen bekleidet Rukwied bei der Südzucker AG, mit einem Jahresumsatz von sieben Milliarden Euro einer der größten Zuckerproduzenten der Welt, der Land-Data GmbH, die in Deutschland rund 120 000 Bauernhöfe mit Buchhaltungssoftware versorgt, oder bei der R+V Allgemeine Versicherung, einem der größten deutschen Versicherungsunternehmen. 
Wie ein Mensch so viele Jobs gleichzeitig sinnvoll ausüben kann, ist die eine Frage. Forscher Guido Nischwitz bewegt aber noch mehr – denn diese Unternehmen hätten ja oft völlig andere Interessen als der normale Landwirt. Die einen wollten Landwirten zu einem möglichst guten Preis Betriebsmittel verkaufen, die anderen sähen in den Bauern zuvorderst preisgünstige Rohstofflieferanten.  

Ämterhäufung beim Bauernverband 

Auch die anderen Mitglieder aus der Führungsetage des Bauernverbandes besetzen wichtige Schlüsselpositionen im Agrargeschäft. Ob den Landwirten, die Mitglieder im Bauernverband sind, diese Ämterhäufungen und die augenscheinlichen Interessenskonflikte ihrer Führungsebene, die damit einhergehen, immer bewusst sind? 
Beim Bauernverband hingegen sieht man die lukrativen Ämterhäufungen als Notwendigkeit. „Was ist die Alternative?“, fragt Generalsekretär Bernhard Krüsken. „Sich da rauszuhalten und Rohstofflieferant zu werden?“ Außerdem seien viele dieser Unternehmen Betriebe in bäuerlicher Hand in der Form von Genossenschaften. Laut der Bremer Studie bekleidet Krüsken sechs Führungspositionen, darunter ebenfalls bei den schon genannten Konzernen Land-Data GmbH und R+V Allgemeine Versicherung. Aber nutzt dieses Engagement außer den Funktionären selbst auch den kleineren Bauern? 

Forscher Guido Nischwitz ist da skeptisch. Denn wenn die EU die Milliarden fließen lässt, würden diese nur bedingt diejenigen unterstützen, die die Subventionen am nötigsten bräuchten. Die Bauern geben zudem einen Großteil der Gelder wieder für Pachtzahlungen, Pflanzenschutzmittel, Kunstdünger, Saatgut, Versicherungen und andere Dienstleistungen aus – davon wiederum profitieren oft direkt jene Unternehmen, in denen die Bauernverbandsfunktionäre sitzen. 

Ein dritter Weg

Dass das meiste GAP-Subventionsgeld bekommt, wer die größten Flächen hat, sorgt über die Jahre für eine immense Umverteilung und eine Veränderung der Landwirtschaft hin zu riesigen Agrarbetrieben. Inzwischen geht fast ein Drittel der GAP-Gelder an nur 1,8 Prozent der Bauern. „Eigentlich profitieren nur die Landbesitzer, also diejenigen, die Land besitzen und an Landwirte verpachten, oder die Landwirte, die selber sehr viel Fläche haben“, sagt Jan Plagge, Chef von Bioland, einem Zusammenschluss von 7700 Ökolandwirten. Die Anzahl riesiger Betriebe mit mehr als 100 Hektar Fläche ist laut dem Agraratlas der Heinrich-Böll-Stiftung europaweit in den vergangenen zehn Jahren um 16 Prozent gestiegen. Diese Großagrarier beackern inzwischen 52 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche in der EU. Gleichzeitig geben immer mehr kleine Höfe auf. Im Grunde können so auf Dauer nur noch zwei Modelle der Landwirtschaft existieren: riesige Agrobetriebe – oder Ökobauernhöfe, die ihren Nachteil bei den EU-Subventionen durch höhere Verkaufspreise und langfristig durch eine naturnähere und damit nachhaltigere Bewirtschaftung ihres Landes wettmachen können. 

Doch auch eine Mischform aus beiden ist möglich. Das zeigt Deutschlands größter Ökobetrieb in Brodowin nördlich von Berlin. Auf mehr als 1000 Hektar Fläche werden nach strengen Demeter-Kriterien Getreide und Gemüse angebaut. Die Lebensmittel werden hauptsächlich – zu einträglichen Biopreisen – ins nahe Berlin verkauft. Die Landschaft um Brodowin ist durchsäumt von kleinen Wäldern, Hecken und anderen Rückzugsmöglichkeiten für Tiere. Die Betreiber sind stolz darauf, auch für das Gemeinwohl zu arbeiten. „Ich nehme keinem Landwirt übel, was bisher passiert ist, denn wir sind darauf getrimmt worden“, sagt Ludolf von Maltzan, Geschäftsführer von Brodowin. „Wir haben die Kosten gesenkt und uns rationalisiert. Aber hier in Brodowin haben wir die Erfahrung gemacht, dass es auch andere Möglichkeiten gibt – und dass es unglaublich spannend sein kann, als Landwirt wieder mehr zu tun als zu produzieren.“ 

In den nächsten Monaten entscheidet sich, wie die Agrarmilliarden aus Brüssel neu verteilt werden. Doch die Chancen stehen schlecht, dass die GAP zukünftig mehr Umwelt- und Artenschutzmaßnahmen belohnt. Denn sowohl in Berlin als auch bei der EU sitzen viele Politiker an den Schalthebeln, die solchen Reformen gegenüber nicht sehr offen sind: Die Bremer Studie hat allein im Agrarausschuss des Deutschen Bundestages bei 85 Prozent der CDU/CSU-Mitglieder eine Verbindung zum Deutschen Bauernverband gefunden. 

Allerdings rumort es inzwischen auch bei den konventionellen Bauern, die so zahlreich in diesem Verband organisiert sind. Viele wollen weg von der industriellen Landwirtschaft. Laut Deutschem Bauernverband überlegen 15 Prozent seiner Mitglieder, auf Biolandbau umzustellen. Die Zeichen stehen auf Umbruch – trotz der nicht ganz uneigennützig konservativen Kräfte an der Spitze des Bauernverbandes.

© Berndt Welz

Dokutopia Facebook Dokutopia Instagram Dokutopia LinkedIn